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Samstag, 15. Juli 2006

Turkmenistan: Reise in ein märchenhaftes Land



In einem Land jenseits unserer Wahrnehmung und also unserer Vorstellungskraft begeben sich zuweilen seltsame Dinge, die durch die Entrücktheit des Landes etwas Märchenhaftes gewinnen, wenngleich diese Märchen im Grunde von denselben Schreckensgestalten bevölkert sind wie diejenigen, die uns einst in einem für Märchen empfänglicheren Alter wechselweise zur Erbauung und eben auch zum Fürchten dienten. Welch anderen Hintergrund als solch einen märchenhaft-schrecklichen sollten wir auch hinter der Geschichte von dem Herrscher vermuten, der zur moralischen Läuterung und spirituellen Anleitung seiner Untertanen ein Buch verfasst und dessen wohltätige Inhalte nicht nur zum Gegenstand mehr oder weniger erhellender Schulstunden und Universitätscurricula macht, sondern darüber hinaus landauf, landab an allen nur erdenklichen Plätzen und Einrichtungen affichieren und ein meterhohes Abbild desselben buchstäblich in Stein meißeln und an einer Prachtstraße der wunderbaren Hauptstadt als Denkmal seiner selbst aufstellen lässt?

Der Wunderbare und Wohltätige ist darüber hinaus auch noch märchenhaft reich an allerorts begehrten Schätzen und weil er mit seinen Schätzen freigiebig umgeht und sein Augenmerk nicht auf anderer verbotene Schätze und deren Anreicherung richtet, mag das die Begehrer zumindest vorläufig daran hindern, ihn in ein Sagenreich zu verbannen, worin sie ihre antagonistischen Widersacher als das vorgebliche Übel der Welt transzendieren.

Reisen in das Reich des Sagenhaften unterliegen naturgemäß nicht der Beliebigkeit, sondern reißen einen aus dem Alltag eines rast- und haltlosen Wechsels von Orten und Landschaften. Unzählige sind der feinen Rituale und ausgefeilten Zeremonien, derer es bedarf, seinen Fuß in jenes entrückte Land zu setzen, das uns doch manchmal durch seine Entrücktheit so vertraut scheint, dass es uns recht unheimlich werden könnte. Hat man aber einmal seinen Fuß auf den Boden des verheißenen Landes gesetzt, merkt man gar bald, dass sich darin Menschen wie du und ich, wie man gemeinhin gern zu sagen pflegt, wenn man ihnen nichts Außergewöhnliches zugestehen will, in ebensolchen gewöhnlichen Alltagsbeschäftigungen ergehen. Doch auch des wundersamen Einen wird man ansichtig, der den ebenso wundersamen Wandel vom ergrauten Parteifunktionär zum durch und durch schwarzbeschopften Messias vollzogen hat, um schlußendlich in vergoldetem Abbild alle Ecken und Enden der wunderbaren Metropole zu zieren, so diese nicht schon mit anderen Wunderbarkeiten seiner mittelbaren oder unmittelbaren Hervorbringung wie dem bereits erwähnten Buch und seinen Exzerpten besetzt sind.

"Als ich als Rekrut meinen Wehrdienst ableistete, holten sie mich eines Tages aus der Kaserne und brachten mich zu einem Grenzposten zu Afghanistan. Sie gaben mir das Kommando über vier andere. Nachts wurden wir zur Patrouille hinausgeschickt. Man hatte uns gesagt, es wären Drogenschmuggler unterwegs, aber sie würden zu 99 Prozent einen anderen Weg einschlagen, deshalb hätten wir nichts zu befürchten. Das war auch gut so, denn wir waren so gut wie unbewaffnet. Gute Waffen und gute Ausrüstung, so sagte man uns, bekämen nur die Streifen, die damit rechnen müssten, den Schmugglern tatsächlich zu begegnen. Wir waren kaum eine halbe Stunde unterwegs, als wir in einen Hinterhalt gerieten. Es müssen mindestens ein Dutzend gewesen sein und sie begannen sofort zu schießen. Es waren Maschinengewehre. Meine Leute wollten sich verteidigen, aber ich sagte ihnen, dass es keinen Sinn hätte, sie sollten davonlaufen, so schnell sie könnten. Alles andere wäre vollkommen sinnlos gewesen. Wir schafften es alle zurück zu unserem Stützpunkt und am nächsten Tag schickten sie uns zurück, wo wir hergekommen waren. Ein paar Tage danach kamen sie, um mich zu suchen, aber ich konnte mich rechtzeitig verstecken und mein Vorgesetzter deckte mich. Er sagte ihnen, er wisse nicht, wo ich sei. So ging es noch zwei-, dreimal, es war jedesmal dasselbe, dann hatten sie wahrscheinlich etwas Besseres zu tun und sie kamen nicht wieder."

Das wunderbare an Märchen ist ja nicht nur ihre Unbeschwertheit in allen Wendungen und Wandlungen des Geschilderten, sondern ebenso die Unbeschwertheit, mit welcher wir sie bestaunen können, ohne uns sogleich rechtfertigen zu müssen. Und da jeder Reise etwas Märchenhaftes innewohnt, wollen wir es mit der Rechtfertigung auch so beiläufig halten, wie wenn wir uns zu einem finsteren Riesen hinter den sieben Bergen aufmachen. Und um es gleich vorwegzunehmen, die sieben Zwerge gibt es auch, doch hat sie der Riese absichtlich kleingehalten und beständig ausgetauscht, sodass nun weit und breit bei noch so genauem Hinsehen kein Zwerg auszumachen ist, der die Lücke füllen könnte, welche die finale Entrückung des Riesen (oder glaubt ihr nach all dem Geschilderten wirklich noch an so etwas Banales wie seinen Tod?) hinterlassen möchte. Wir aber gedenken all der ungezählten Zwerge, die so wie du und ich mit den Fährnissen eines wenig wundersamen Alltags raufen und ihm da und dort doch wenigstens einige wunderbare Momente abzugewinnen vermögen und sei es nur, um die Unbedarften zu entzücken und alle anderen (Zwerge und Nicht-Zwerge), die zu staunen nicht mehr fähig sind, zu beschämen.